Physiologie – Die Funktionslehre des menschlichen Körpers

Physiologie – Die Funktionslehre des menschlichen Körpers

Die Physiologie ist die Wissenschaft von den Funktionen und Abläufen in Zellen, Geweben, Organen und Organsystemen. Sie beantwortet die zentrale Frage: Wie funktioniert der Körper? Während die Anatomie die „Landkarte“ des Körpers liefert, erklärt die Physiologie die „Spielregeln“, nach denen die Strukturen zusammenarbeiten. Sie bildet damit die funktionelle Grundlage für Pathophysiologie, Pharmakologie und klinische Medizin.

Physiologie lässt sich in zwei Hauptbereiche gliedern:

  • Allgemeine Physiologie – behandelt grundlegende Mechanismen, die in allen Zellen und Geweben vorkommen, z. B. Membrantransport, Signalübertragung, Muskelkontraktion.

  • Spezielle Physiologie – untersucht die Funktion einzelner Organsysteme, z. B. Herz-Kreislauf-System, Atmung, Verdauung, Nervensystem.


Zellphysiologie – Die Basis aller Funktionen

Jede physiologische Leistung des Körpers beginnt auf zellulärer Ebene. Die Zelle ist die kleinste funktionelle Einheit des Lebens. Ihre physiologischen Prozesse umfassen:

  • Membrantransport – z. B. Diffusion, erleichterte Diffusion, aktiver Transport

  • Membranpotenzial – elektrische Spannung zwischen Innen- und Außenseite der Zellmembran, entscheidend für Nervenerregung und Muskelkontraktion

  • Signaltransduktion – Umwandlung eines äußeren Signals (z. B. Hormonbindung) in eine intrazelluläre Antwort

  • Energiehaushalt – ATP-Produktion in den Mitochondrien, Stoffwechselwege wie Glykolyse, Citratzyklus, oxidative Phosphorylierung

Merksatz: „Ohne Zelle keine Funktion – ohne Funktion kein Leben.“


Physiologie des Nervensystems

Das Nervensystem steuert schnelle und präzise Reaktionen des Körpers. Wichtige Prozesse:

  • Erregungsleitung – Aktionspotenziale entstehen durch spannungsabhängige Natrium- und Kaliumkanäle

  • Synaptische Übertragung – chemische Synapsen nutzen Neurotransmitter (z. B. Acetylcholin, Glutamat, GABA), elektrische Synapsen leiten direkt weiter

  • Reflexbögen – einfache Verschaltungen, die unwillkürliche Reaktionen auslösen

  • Zentrale Verarbeitung – Integration sensorischer Signale und Steuerung motorischer Antworten

Ein Beispiel ist der Muskeleigenreflex: Dehnung eines Muskels aktiviert Muskelspindeln, die über das Rückenmark eine direkte Kontraktion auslösen.


Herz-Kreislauf-Physiologie

Das Herz ist eine biologische Pumpe, die Blut durch den Körper treibt. Wichtige physiologische Prinzipien:

  • Herzzyklus – systolische Auswurfphase und diastolische Füllungsphase

  • Herzminutenvolumen (HMV) – Produkt aus Schlagvolumen und Herzfrequenz

  • Blutdruckregulation – durch Barorezeptoren, Hormone (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System) und Gefäßtonus

  • Mikrozirkulation – Austausch von Gasen und Nährstoffen in den Kapillaren

Merksatz: „Ohne Herzstillstand kein Stillstand – es pumpt unermüdlich ein Leben lang.“


Atmungsphysiologie

Die Atmung sichert die Aufnahme von Sauerstoff und die Abgabe von Kohlendioxid.

  • Ventilation – Ein- und Ausströmen der Luft durch Zwerchfell- und Thoraxbewegung

  • Gasaustausch – Diffusion von O₂ ins Blut und CO₂ in die Alveolen

  • Transport im Blut – Sauerstoff vorwiegend gebunden an Hämoglobin, CO₂ teils gelöst, teils als Bicarbonat

  • Regulation – Atemzentrum in der Medulla oblongata reagiert sensibel auf CO₂- und pH-Veränderungen


Verdauungsphysiologie

Der Verdauungstrakt verarbeitet Nahrung zu absorbierbaren Nährstoffen.

  • Mechanische Zerkleinerung – Kauen, Peristaltik

  • Chemische Verdauung – Enzyme wie Amylase, Lipase, Proteasen

  • Resorption – Aufnahme von Monosacchariden, Aminosäuren, Fettsäuren in den Dünndarm

  • Leberfunktion – Synthese von Galle, Stoffwechselregulation, Entgiftung

Merksatz: „Was wir sind, hängt davon ab, was wir verdauen – nicht nur, was wir essen.“


Hormonelle Regulation

Das endokrine System reguliert langsamer, aber nachhaltiger als das Nervensystem.

  • Hypothalamus-Hypophysen-Achse – steuert Wachstum, Schilddrüsenfunktion, Stressreaktionen

  • Pankreas – Insulin und Glukagon regulieren den Blutzucker

  • Nebennieren – Kortisol und Adrenalin koordinieren Stress- und Energiestoffwechsel

Hormone wirken oft über negative Rückkopplung, um ein physiologisches Gleichgewicht (Homöostase) zu sichern.


Homöostase – Das zentrale Prinzip der Physiologie

Die Homöostase bezeichnet die Fähigkeit des Körpers, trotz äußerer Schwankungen ein stabiles inneres Milieu aufrechtzuerhalten. Beispiele:

  • Temperaturregulation

  • Blutdruckregulation

  • pH-Wert-Kontrolle

Dieses Gleichgewicht ist die Grundlage des Lebens. Störungen der Homöostase führen zu Krankheit – von Fieber über Kreislaufschock bis hin zu metabolischer Azidose.


Zusammenfassung

Die Physiologie erklärt, wie der Körper funktioniert – vom Ionentransport in der Zelle bis zur komplexen Interaktion ganzer Organsysteme. Sie ist das Fundament, auf dem klinische Medizin, Pharmakologie und Pathophysiologie aufbauen. Wer die Physiologie versteht, kann Krankheitsprozesse nicht nur erkennen, sondern auch erklären und therapeutisch beeinflussen.


Aufgaben zur Wissensüberprüfung

1. (Einfach)
Erkläre den Unterschied zwischen allgemeiner und spezieller Physiologie.

2. (Mittel)
Beschreibe, wie ein Aktionspotenzial in einer Nervenzelle entsteht und weitergeleitet wird.

3. (Schwierig)
Analysiere, wie eine Störung der Barorezeptoren den Blutdruck beeinflusst und welche Folgen das für die Organdurchblutung haben kann.


Lösungen

1. Die allgemeine Physiologie behandelt grundlegende Mechanismen wie Membrantransport oder Signalübertragung, die in allen Zellen vorkommen. Die spezielle Physiologie untersucht dagegen die Funktion einzelner Organsysteme, z. B. Herz-Kreislauf oder Atmung.

2. Ein Aktionspotenzial entsteht durch Öffnung spannungsabhängiger Natriumkanäle, wodurch Natrium in die Zelle strömt und das Membranpotenzial depolarisiert. Anschließend öffnen sich Kaliumkanäle, Kalium strömt aus der Zelle, und das Potenzial repolarisiert. Die Erregung wird entlang des Axons weitergeleitet und an Synapsen auf andere Zellen übertragen.

3. Barorezeptoren messen den Blutdruck in großen Arterien. Bei Störung fällt ihre Rückkopplungsfunktion aus, sodass der Blutdruck unkontrolliert steigen oder fallen kann. Ein zu niedriger Blutdruck mindert die Durchblutung lebenswichtiger Organe, ein zu hoher kann Gefäße schädigen und Schlaganfälle begünstigen.